Schadet Bitcoin der Wirtschaft, der Demokratie und der Freiheit? Dies behauptet ein Artikel in einem linken Wirtschaftsmagazin. Wir haben uns die Gründe dafür angeschaut – und haben ein paar Einwände.
Im neuen linken Wirtschaftsmagazin Surplus spielen Themen wie Geldpolitik und Inflation eine erfreulich prominente Rolle. Vor kurzem fand sich darin auch ein auch ein Artikel über Bitcoin. Der Ökonom Lukas Scholle, Chefredakteur des Magazins, stellt der Kryptowährung darin ein vernichtendes Zeugnis aus.
Wer Bitcoin kaufe, wissen nicht, was er tue, eröffnet Scholle, „und versteht oft nicht allzu viel von Wirtschaft“. Mittlerweile haben sogar einige Prominente – FDP-Chef Christian Lindner, sein Parteikollege Frank Schäffler, der Investor Frank Thelen, der Rapper Sido – „ihre wirtschaftliche Unkenntnis unter Beweis gestellt.“
Der Artikel ist hinter einer PayWall, aber Scholle veröffentlicht auf BlueSky eine Kurzfassung seiner Thesen.
Gut für den Einzelnen, schlecht fürs Kollektiv?
Wenn man tief in den Grund der Kritik blickt, stößt man auf eine etwas fragwürdig Einstellung zur Wirtschaft: Nicht der Markt soll entscheiden, was ein gutes Geld und ein guter Wertspeicher ist, sondern Ökonomen nach Lehrbuch. Dies mag bei staatlich herausgegebenem Geld noch einigermaßen funktionieren – aber Bitcoin wurde ja explizit als P2P-Geld geschaffen, damit der Staat nicht hineinfingert.
Wenn Scholle also konstatiert, dass Bitcoin ein schlechtes Geld ist – dann ist das so ähnlich, als würde ein Physiker lamentieren, dass die Naturgesetze misslungen sind. Wenn er dann noch behauptet, diejenigen, die das erfolgreichste Investment der letzten Jahrzehnte halten, wüssten nicht, was sie machten und bewiesen gar ihre wirtschaftliche Unkenntnis, wirkt das noch schrulliger. So als behaupte ein Seifenkistenfahrer, Mercedes wisse nichts vom Autobau.
Im Kern aber hat Scholle eine durchaus interessante These: Mit Bitcoin machten die Einzelnen zwar Gewinn – „doch der Gesamtwirtschaft schadet“ er. Auf BlueSky wird er noch deutlicher: Bitcoin sei „eine Gefahr für Wirtschaft und Demokratie“.
Diese These begründet er mit fünf Argumenten, die wir uns im Folgenden anschauen.
1. Die knappe Geldmenge
Wie ihr alle wisst, ist die Anzahl von Bitcoins auf maximal 21 Millionen begrenzt. Dies mag gut für ein Investment sein, räumt Scholle ein – aber „eine Katastrophe“ für Geld. Denn es „führt zu Kaufzurückhaltung, was die Wirtschaft lähmt“. Marktakteure „würden ihre Käufe in die Zukunft aufschieben, um mehr dafür zu erwerben. Das ist Gift für die Wirtschaft.“ Wer „heute kein Geld ausgibt und auf eine höhere Kaufkraft in der Zukunft hofft, schwächt den Wirtschaftskreislauf.“
Diese Kritik daran, dass ein deflationäres Geld er Wirtschaft schadet, ist schon alt. Sie lässt sich eigentlich leicht entkräften:
- Menschen kaufen das, was sie benötigen, auch dann, wenn ihr Geld auch künftig mehr wert sein wird
- Niemand spart in „Geld“, sondern übersetzt, was übrig bleibt, in Tagesgeld, besser noch ETFs, Gold oder Immobilien
Scholle möchte also diejenigen, die nicht kompetent sparen können oder wollen – in der Regel Angehörige der Unterschicht – mit der Peitsche der Inflation dahin treiben, sich Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen. Denn nur so flutscht die Wirtschaft, steigen die Aktienkurse, sprudeln die Dividenden. Mit den hehren linken Zielen, die Surplus gewisst vertritt, hat dies nichts zu tun.
Ohnehin zeigen historische Epochen wie die Zeit des Goldstandards oder das System von Bretton Woods, dass starkes Wachstum auch mit einem harten Geld möglich ist.
2. Das Vertrauen
Bitcoin basiere allein auf Vertrauen, konstatiert Scholle. Im Gegensatz zu anderen Investments, wie Aktien oder Anleihen, „fehlt ein realer Gegenwert. Keine Unternehmensgewinne, kein Schutz, keine Sicherheit.“ Daher sei Bitcoin, meint Scholle, kein sicherer Wertspeicher.
Auch diese Kritik ist alt. Bitcoin wird seit langem wegen eines angeblich fehlenden inhärenten Wertes als Spekulationsblase abgetan. Man könnte nun einwenden, dass die einzigartige Gleichzeitigkeit von Liquidität und Souveränität sehr wohl einen Eigenwert darstellt, der Bitcoin zum Wertspeicher qualifiziert. Oder dass ein knappes Gut ein guter Wertspeicher wird, wenn es einen ausreichend breiten Konsens darüber gibt, dass es einer ist.
Aber am Ende geht es um die alte Frage, was ein Wert ist. Diese zieht sich als roter Faden durch die Philosophie, wann immer sie vom Geld redet. Insgesamt herrscht ein breiter Konsens darüber, dass der Markt das effizienteste Werkzeug ist, um den Wert der Dinge zu bestimmen, während die historische Erfahrung lehrt, dass jeder Versuch, den Staat über Werte entscheiden zu lassen, in Katastrophen endet.
Und der Markt – er hat offensichtlich entschieden, dass Bitcoin ein guter Wertspeicher ist. Gute Ökonomen integrieren Erkenntnisse aus der Wirklichkeit, anstatt sich gegen sie im Elfenbeinturm zu verschanzen.
3. Die Transaktionskosten
Bitcoin sei „weder effizient noch günstig“, erklärt Scholle: Eine einzelne Transaktion verbrauche so viel Energie wie 500.000 Visa-Transaktionen und koste im Schnitt zwei Dollar Gebühr. „Technische Überlegenheit sieht anders aus“.
Tatsächlich skaliert Bitcoin nur sehr begrenzt. Als Zahlungsmittel funktioniert Bitcoin in der Breite erst über Second-Layer wie Lightning, WBTC ($102,667.71)-Token auf Ethereum oder den Wechsel zu Debit-Karten aus der Wallet heraus. Scholle blendet diese Optionen aus.
Mit dem albernen Vergleich mit dem Stromverbrauch je Transaktion ignoriert er, dass bei Bitcoin im Schnitt sehr viel höhere Werte überwiesen werden als mit Visa. Wäre es nicht denkbar, dass Bitcoin derzeit eben ein Geld für große Zahlungen ist, nicht für den Alltagskommerz? Dass es weniger darum geht, online zu bezahlen, sondern Geld autonom zu verwahren?
Erneut entscheidet kein Lehrbuch-Ökonom darüber, ob Bitcoin technisch überlegen ist, sondern die Nutzer. Und für diese hat Bitcoin als Zahlungsmittel einen Mehrwert. Ansonsten würden sie ja es nicht benutzen.
4. Ungleichheit
Bitcoin verschärfe soziale Ungleichheit, beklagt Scholle: „Die reichsten 1000 besitzen drei Millionen Bitcoins – mehr Ungleichheit als in den USA. Neue Superreiche entstehen, die vor allem Glück hatten, früh dabei zu sein.“
Diese Kritik wirkt noch am ehesten fundiert. Die Vermögensverteilung bei Bitcoin ist in der Tat extrem ungleich, und diejenigen, die heute einsteigen, haben keine Chance, die Early Adopter jemals einzuholen. Bitcoin hat viele Menschen, darunter Zocker, Schurken, Betrüger, Drogendealer, Hacker, unsagbar reich gemacht, häufig ohne dass diese dafür eine adäquate unternehmerische Leistung erbracht haben.
Andererseits schafft Bitcoin ein neues Milieu der Reichen: Vermögende, die nicht durch die „Schule des Geldes“ gingen, was gesellschaftlich durchaus erfrischend sein kann – und womöglich auch zu weniger Dünkel und mehr Großzügigkeit führt.
5. Der Staat
Bitcoin sei „Entstaatlichung“, behaupteten, so Scholle, die „Kryptobros“, und dies angeblich zu recht. Dabei aber brauche der Staat in Krisen doch mehr und nicht weniger Flexibilität! Wenn es zu einer Krise kommt, etwa einer Pandemie oder Energiepreiskrise, „müsste der Staat erst Bitcoins einnehmen, bevor er sie ausgeben kann. Und das ginge nicht auf Knopfdruck wie beim Giralgeld“.
Dieses Argument ist etwas verwirrend. Denn Giralgeld wird ja nicht auf den Knopfdruck eines Ministers erschaffen, sondern wenn ein Unternehmen einen Kredit bei der Bank einholt, und der EZB als Herausgeberin des Euro ist es per Verfassung verboten, Staatshaushalte zu finanzieren. Auch im Euro-System muss der Staat Geld durch Steuern oder Schulden einnehmen.
Abgesehen davon zeigt der Punkt aber erneut, wie gering Scholle das Objekt seiner Disziplin, den Markt, achtet, und wie stark er für die Superiorität des Staates argumentiert. Denn der deutsche Staat hatte, selbst inflationsbereinigt, noch nie so viel Geld wie heute. Dass es dennoch nicht reicht, könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Handlungsfähigkeit eines Staates nicht direkt mit dem verfügbaren Geld skaliert.
Freiheit und Demokratie
Ob Bitcoin, alles in allem, nun Demokratie und Freiheit stärkt, oder sie, wir Scholle meint, gefährdet, wollen wir hier nicht beantworten. Bitcoin ist, wie Euro, Dollar oder Rubel, ein Instrument, dessen gesellschaftliche Funktion zu weiten Teilen offen ist.
Wenn Russland mit Bitcoin Sanktionen umgeht und Nordkorea Atomraketen kauft, ist Bitcoin kaum ein Instrument der Freiheit. Wenn dagegen Russen ihr Kapital aus dem Land schaffen oder Venezulaner der Inflation entgehen, wird Bitcoin es durchaus.
An sich trägt die Technologie des Bitcoins – die knappe Menge, die autonome Schlüsselverwaltung – starke demokratisierende und freiheitliche Züge in sich. Aber ob sie ausgespielt werden, hängt nicht von Bitcoin, sondern von den Nutzern ab.
Freiheit und Demokratie können durchaus auch widersprüchlich sein. Die Freiheit des Einzelnen kann die Freiheit vor dem Zugriff eines demokratischen Kollektivs bedeuten, und ein solches kann durchaus demokratisch beschließen, der Freiheit aller Einzelnen den Garaus zu machen. Bitcoin kann die Freiheit des Einzelnen vor tyrannischen Anfällen des Kollektivs schützen, und es kann die Demokratie des Kollektivs vor der Tyrannei eines Einzelnen schützen.
Aber diese Diskussion ist müßig. Denn der Großteil von Scholles Argumenten gegen Bitcoin fällt in der Sache selbst mangelhaft aus.